… Asterix und Obelix aus Weit im Winkl.
Enderle und Rütli
Der Mathematik- und Sportlehrer Simon Rütli aus St. Chrischona und begeisterter Gitarrist und Besitzer einer weißen Les Paul von Gibson trieb sich schon lange vor seiner Ernennung zum Vizedirektor in Weit im Winkl herum. Das Laborgymnasium besaß immerhin das beste Tonstudio weit und breit und neben dem Lehrerfußball war die dortige Lehrerband KLETT, benannt nach den Mathematiklehrbüchern, die die Schule benutzte, der absolute Knaller.
Schon 20 Jahre vor der “Abkopplung” vom Kultusministerium in Stuttgart hatte sich das damalige Schiller ein Tonstudio in einem alten Schulkeller eingerichtet, weil ein paar Schüler mit viel Lust auf Stromgitarren bei der Schulleitung angefragt hatten, ob sie, sollten sie das Geld dafür auftreiben können, den alten Fahrradkeller zu einem Proberaum umbauen dürften. Und das war schon beim alten Schiller so: Wer wollte, der durfte natürlich. Ein pädagogisches Grundprinzip an der Schule. Mit amtlicher Unterstüzung. Und später im Café L erst recht. “Gebt Jugendlichen maximal viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln, sich einzusetzen, Selbstbewusstsein zu tanken, sich auszuprobieren, dann entwickelt sich Schule vollautomatisch zu einem dynamischen positiven Prozess” oder so ähnlich stand es in einem der vielen Bewerbungen zu irgendwelchen Wettbewerben, von denen sich Enderle immer erhoffte, Geld und Rückendeckung für seine Schule mit ihren tausend Ideen zu bekommen. Speziell nach der “Abkopplung” war es absolute Chefsache, dass die Laborschule in allen Bereichen so gut werden sollte, dass man später (“irgendwann wird der Schwindel ja sicher auffliegen, dann müssen wir stark da stehen” war Enderles Meinung.) punkten konnte. Und später war genau das auch die Meinung von Simon Rütli. Der sich genau wegen diesem pädagogischen Konzept, wegen diesem legendären Tonstudio und der wilden Musikszene am Laborgymnasium dorthin beworben hatte. Ja klar, offiziell bewerben ging natürlich nicht. Auch Rütli hatte heftig getrickst, wurde von Basel aus bezahlt und hatte sich aus dem digitalen Netzwerk der dortigen Schulbehörde “davongeschlichen”. “Die paar Kilometer, mal ganz ehrlich, in einer internationalen Welt darf das doch kein Hinderungsgrund sein, dass da so eine komische Grenzlinie existiert.” meinte er einmal abends zu später Stunde bei einem Kollegenfest. Einen sehr guten Rotwein im Glas. “Wir bilden hier junge Menschen einer Region aus. Und da auch Schweizer Kinder drunter sind, stimmt doch die Bilanz.”
Man sieht, Rütli passte genau in das Anforderungsprofil der Laborschule. Aufmüpfig, querdenkend, einsatzbereit und überzeugt davon, dass Schule gut sein musste, um die nächsten Jahrzehnte mit diesem gemeinsamen Europa zu bestehen. “Wir können es eben besser,” meinte Enderle des öfteren. “Und deshalb war unsere Abkopplung auch absolut richtig. Die Welt wird es später genau so sehen.” Womit er tatsächlich recht behalten sollte, denn als die Sache im Jahre 2023 aufflog, hatte sich erstens die allgemeine Auffassung von positiver Schulentwicklung grundlegend gewandelt (und war bei einem Idealbild angekommen, das das Café L schon jahrelang praktizierte) und zweitens waren allein schon die Abiturszeugnisse aus Weit im Winkl der letzten Jahre überwältigend. Baden-Württemberg schrieb jahrzehntelang in die Statistik: 2,3 plus minus 0,1. Hörte sich zwar gut an, war aber nie ein echtes Qualitätsmerkmal. Weit im Winkl hatte sich aber nach der Abkopplung zur gemeinschaftlichen Aufgabe gestellt, einen Abitursschnitt deutlich unter 2,0 zu schaffen. Kurz bevor der Schwindel aufflog, als eine finnische Delegation nach Weit im Winkl kam, um von den dortigen Strukturen zu lernen, lag er bei 1,7. Der beste Jahrgang war dann später der Jahrgang Abi2027. Das war dann schon in der Zeit, als das Laborgymnasium nun hochoffiziell als Versuchsschule arbeiten durfte. Ein Schnitt von 1,4. “Sensationell”, schrieb die Presse. “Klar, des Café L isch hald sensationell.” meinte damals Enderle breit grinsend und war stolz wie Oskar.